Auf allen Vieren zu mehr Kraft, Mobilität und Core-Stabilität – Definition, Nutzen, Risiken und ein Trainingsplan für Einsteiger mit Quadrobics
Quadrobics ist eine junge Trainingsform, bei der Sie sich auf allen Vieren fortbewegen – kriechen, traben, springen, drehen –, inspiriert von tierischer Lokomotion. Das wirkt zunächst verspielt, ist aber eine ernstzunehmende Full-Body-Belastung und hat sich in sozialen Medien zu einem Trend entwickelt. Befürworter betonen Verbesserungen in Kraft, Beweglichkeit, Koordination und Körperwahrnehmung; Expertinnen und Experten ordnen das Phänomen als Variante des „Quadrupedal Movement Training“ (QMT) ein.
Was genau ist Quadrobics – und woher kommt es?
Im Kern bedeutet Quadrobics: Training mit allen vier Gliedmaßen am Boden – ähnlich zu Krabbeln, Bären-, Eidechsen- oder Gorillagang. Die Praxis verbindet Elemente aus Aerobic und Calisthenics, nutzt das eigene Körpergewicht und erfordert kaum Equipment. Medienberichte und Nachschlagewerke verorten Quadrobics zugleich als Fitnessform und als jugendkulturelles Phänomen mit Wurzeln in Online-Communities.
Ein häufig genannter historischer Bezug ist das Rennen auf allen Vieren: Der japanische Sprinter Kenichi Ito machte die Fortbewegung 2008 populär, spätere Rekorde – zuletzt 2022 – zeigen, dass schnelles „Vierfüßler-Laufen“ trainierbar ist. Das ist nicht identisch mit Quadrobics, illustriert aber die Leistungsfähigkeit quadrupedaler Muster.
Wichtig für die Einordnung: Quadrobics wird teils mit „Therian“- oder „Furry“-Subkulturen verwechselt. Während diese Communities Identität oder Kostümierung thematisieren, steht bei Quadrobics im Fitnesskontext die Bewegung im Vordergrund.
Was sagt die Wissenschaft zu Quadrupedal Movement Training (QMT)?
Unter dem Begriff QMT wurden in den letzten Jahren Studien publiziert. Ergebnisse deuten auf Verbesserungen bei funktionellen Bewegungsmustern (FMS-Scores), Gelenkbeweglichkeit, Propriozeption sowie Core-Stabilität hin. Elektromyographische Analysen zeigen hohe Aktivität der Rumpfstabilisatoren sowie der stützenden Muskulatur in Schultern, Trizeps, Quadrizeps, Waden und hinterer Oberschenkelmuskulatur. Diese Effekte entstehen, weil die veränderte Basis der Unterstützung (Base of Support) und der tiefere Körperschwerpunkt neue Stabilisierungsanforderungen schaffen. (Lippincott)
Auch energetisch ist QMT fordernd: Untersuchungen beschreiben relevante Stoffwechsel- und Koordinationsanforderungen, die sich in alltagsnahe Leistungszuwächse übersetzen können (z. B. bessere Balance, effizientere Rumpfkraftübertragung). Das stützt die Sicht, Quadrobics als funktionelles Ganzkörpertraining zu integrieren – mit und ohne Zusatzgeräte.
Chancen und Risiken: Für wen eignet sich Quadrobics?
Potenziale:
- Ganzkörperkräftigung durch geschlossene kinetische Ketten (Hände/Füße am Boden)
- Core-Stabilität, Schultergürtelkraft und intersegmentale Kontrolle
- Koordination, Beweglichkeit und motorische Variabilität ohne Geräte
Diese Punkte werden in Übersichtsarbeiten und Interventionsstudien zu QMT gestützt. (researchers.kean.edu)
Risiken und Vorsicht:
Die größte Last tragen Handgelenke, Ellbogen, Schultern sowie Kniescheibenregion und Zehengrundgelenke. Ein zu schneller Einstieg, harter Untergrund oder lange Haltephasen können Reizungen begünstigen. Für ältere oder untrainierte Personen, Menschen mit Osteoporose, akuten Gelenkbeschwerden oder ausgeprägter Hypermobilität ist ein ärztlich/physiotherapeutisch begleiteter Einstieg ratsam. Medienberichte weisen insbesondere bei älteren Erwachsenen auf erhöhtes Verstauchungs-/Sturzrisiko hin.
Praktische Sicherheitsmaßnahmen:
- Aufwärmen (z. B. 5–8 Minuten Mobilisation, leichte Ganzkörperaktivierung).
- Progressiv steigern (erst statisch, dann langsam dynamisch, dann komplex).
- Geeignete Oberfläche (Matte, Rasen), griffige Schuhe; optional dünne Trainingshandschuhe.
Technik: Die wichtigsten Grundprinzipien
- Neutrale Wirbelsäule: Langer Nacken, Blick schräg vor die Hände; kein Hohlkreuz.
- Schulterposition: Schultern „über den Händen stapeln“, Schulterblätter aktiv (leichte Protraktion/Depression), Ellbogen zeigen ca. 20–30° nach außen.
- Core-Spannung: Bauchnabel sanft nach innen/oben ziehen; Gesäß aktiv, um LWS zu stabilisieren.
- Hüft-Knie-Fuß-Linie: Knie unter Hüfte, Füße aktiv „greifend“.
- Atmung: Ruhiger Nasen-Mund-Rhythmus; bei dynamischen Aktionen ausatmen.
Diese Cues sichern die Lastverteilung und erleichtern die Übertragung auf komplexere Muster – konsistent mit den Stabilitäts- und EMG-Befunden aus QMT-Studien.
Die wichtigsten Quadrobics-Bewegungen (mit Progression)
- Beast Hold (Vierfüßler-Hover): Knie 2–3 cm über dem Boden schweben lassen; 3×20–30 s.
- Bear Crawl (Bärengang): Gegengleich Arme/Beine setzen; klein anfangen (4×10–15 m).
- Lizard Crawl (Eidechsengang): Tiefe Hüfte, Ellbogen eng; erst 3×5–8 m.
- Crab Walk (Krabbengang rücklings): Schulter-Extension schulen; 3×10–20 m.
- Gorilla Walk / Lateral Ape: Seitliche Schritte mit Hand-Fuß-Kontakt.
- Bound/Pop-Ups: Federnde Vorwärts-/Seitwärts-Sprünge aus dem Vierfüßler (nur fortgeschritten).
Diese Patterns adressieren unterschiedliche Muskelschlingen und fördern Bewegungsintelligenz, wie es QMT-Arbeiten beschreiben.
4-Wochen-Plan für Einsteiger (2–3 Einheiten/Woche)
Woche 1 – Grundlagen & Toleranz
- Warm-up: 5–8 Min. Mobilisation (Handgelenke, Schultern, Hüfte), leichte Knie-/Handstützdrills.
- Hauptteil (2–3 Runden, Pause 90 s):
- Beast Hold 20 s
- Bear Crawl 10 m
- Crab Walk 10 m
- Child’s Pose/Thorax-Rotation 30 s/Seite
- Cool-down: 3–5 Min. Atem-/Dehnroutine.
Woche 2 – Volumen & Kontrolle
- 3 Runden:
- Beast Hold 30 s
- Bear Crawl 15–20 m
- Lizard Crawl 2×6–8 m (kurze, kontrollierte Schritte)
- Seitliche Ape-Schritte 2×8 m
Woche 3 – Komplexität & Richtung
- 3 Runden:
- Bear Crawl rückwärts 10–15 m
- Lizard Crawl 8–10 m
- Crab Walk mit Richtungswechsel 3×10 m
- Gorilla Walk lateral 2×10 m
Woche 4 – Flow & Kondition
- 12–15 Minuten „EMOM“ (Every Minute on the Minute):
- Min 1: Bear Crawl 20 m
- Min 2: Lizard Crawl 8–10 m
- Min 3: Beast Hold 30–40 s
- Fortgeschrittene ergänzen 2–3 kurze Bounds statt Bear-Crawl-Meter.
Skalierung: Pausen verlängern, Distanzen/Zeiten reduzieren und Technik priorisieren. Wer Schmerzen in Handgelenken verspürt, erhöht die Handgelenksvorbereitung, nutzt weiche Unterlagen, arbeitet zeitweise auf Fäusten/Parallettes und reduziert die Beugewinkel.
Integration ins bestehende Training
- Warm-up-Booster: 5 Minuten Beast-/Bear-Drills vor Krafttraining – aktiviert Core und Schultergürtel.
- Konditionszirkel: Quadrobics + Kettlebell-Carries + Air Squats.
- Mobility-Tage: Lizard-Varianten mit thorakaler Rotation und Hüftöffnern kombinieren.
Für Hobby- und Vereinssport kann QMT als Athletikbaustein dienen; Studien berichten positive Effekte auf funktionelle Bewegungsqualität und ROM, die für Sprint, Richtungswechsel oder Überkopfbewegungen nützlich sind.
Häufige Fehler – und wie Sie sie vermeiden
- Zu viel, zu früh: Schnell steigern führt zu Überlastung – lieber kürzer, dafür sauber.
- Durchhängender Rumpf: Lässt die LWS kollabieren; Core aktivieren, Rippen „einpacken“.
- Harte Böden, keine Vorbereitung: Handgelenke mobilisieren, griffige Fläche wählen, ggf. Handschuhe.
- Keine Pausen/Monotonie: Variieren Sie Muster und Richtungen; das senkt Irritationsrisiken in Hand-/Schultergelenken.
- Kalter Start und abruptes Ende: Warm-up und Cool-down reduzieren Verletzungsrisiken und verbessern Regeneration.
Kontroversen und Missverständnisse: Trend vs. Subkultur
Online wurde Quadrobics teils mit Subkulturen vermischt oder skandalisiert. Seriöse Einordnung hilft: Als Training lässt sich Quadrobics unabhängig von Kostümierung, Identität oder Bühneninszenierung sicher, sachlich und zielgerichtet ausführen. In Fachbeiträgen und Interviews wird zudem betont, dass Quadrobics als „primal“ geprägtes Ganzkörpertraining verstanden werden kann – nicht als Rollenspiel. Die Abgrenzung erleichtert eine nüchterne Diskussion über Nutzen und Risiken.
Quadrobics ist mehr als ein viraler Gag: richtig angeleitet ist es ein hocheffektives Ganzkörper-Training, das Core-Stabilität, Schultergürtelkraft, Beweglichkeit und Koordination schult – ohne Geräte und mit hohem Spaßfaktor. Wer behutsam einsteigt, auf Technik achtet und Handgelenke/Schultern schützt, profitiert von funktionellen Zuwächsen, die auch auf andere Sportarten übertragbar sind. Menschen mit Gelenkproblemen oder höherem Sturzrisiko sollten jedoch individuell dosieren und im Zweifel medizinisch abklären.



